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Wednesday, 15. December 2004


Interventionistische Kunst gegen die Maschine des Vergessens! Interview mit der Argentinischen KünstlerInnengruppe Etcetera


Seit 1998 arbeitet die interventionistische KünstlerInnengruppe Etcétera aus Santiago de Chile und Buenos Aires an Performances und Aktionen zu den sozialen und politischen Konflikten in Argentinien. Ihre Arbeiten sind anläßlich der Ausstellung -There must be an Alternative! noch bis zum 28. November im Forum Stadtpark Graz zu sehen.

Wie beschreibt Ihr Eure Praxis im Kontext der sozialen und wirtschaftlichen Krise in Argentinien?

Am Ende des vergangenen Jahrhunderts gab es in Argentinien eine extreme Korruption und rapide anwachsende Armut. In dieser Zeit veränderte sich die Rolle des Staates, der immer weniger in ökonomische und soziale Belange intervenierte. Staatliche Unternehmen wurden privatisiert, Arbeitsstandards flexibilisiert und die Arbeitsbedingungen wurden entsprechend immer härter. Tausende ArbeiterInnen wurden arbeitslos. Die Regierung von Staatspräsident Carlos Menem folgte strikt den ökonomischen Rezepten, die von internationalen Wirschaftsorganisationen diktiert wurden, so wie in den meisten lateinamerikanischen Ländern. Ein ökonomisch - politisches Projekt, welches seinen Ursprung in der Militärdiktatur der 70er Jahre hatte, wurde umgesetzt: ein Projekt das die -Bedeutungs Lösch Maschine einführte. Mittels dieses Vehikels wurden alle sozialen Bedürfnisse und menschlichen Werte durch den stupiden Antrieb nach Kapital-Akkumulation und Konkurrenz, Spekulation und Konsum ersetzt. Alle Beziehungen wurden zu einfachen Wiederholungen eines kommerziellen Verhaltens. Gleichzeitig wurden im Kulturbereich Regeln der Repräsentation geschaffen, die seither verwendet werden um diesen sozialen Wandel darzustellen. Diese ästhetischen Codes basierten auf einer trügerischen Wahrnehmung: Dem angebliche Nutzen des neoliberalen Systems. Die gut gemachte Falle bestand darin, alle künstlerischen Ausdrücke in ein -globales Produkt umzuwandeln und somit Kunst zum Komplizen von Konsum zu machen, welcher von den ideologischen Zentren der Macht benutzt und bedient wird. Ein System der Beziehungen, welches auf die Schaffung einer Industrie, eines globalen Markts der -Kulturprodukte abzielt, in dem die Bedeutung und die kritische Rolle der Kunst abgeschafft wird. Ein System in dem die Individualisierung zu Ihrem Höhepunkt gelangt und Kompromißlosigkeit und Depolitisierung gefördert werden. Nach der Revolte in Argentinien im Dezember 2001 wuchs der Widerstand an. Straßenblockaden und Stadtteilversammlungen, besetzte Fabriken und geplünderte Supermärkte bestimmten die Szenerie und gängige Formen der politischen Repräsentation wurden radikal in Frage gestellt. Verschiedene soziale Gruppen waren von der Krise betroffen und protestierten. Leute, die ihre Ersparnisse verloren hatten, organisierten Demonstrationen gegen Banken. Beamte rebellierten gegen das Rathaus. Es gab entwickelten sich derart viele neue Protestformen der Widerstandsbewegung. In den Etcetera -Arbeitsweisen werden nun Dichtung, Theater und Bildende Kunst mit politischen Zutaten vermischt. Die Aktionen in den Straßen, Protest und Demonstrationen sind unsere Spezialität, da sie uns auf verschiedenen Weisen ermöglichen, mit den Leuten direkt in Kontakt zu treten. Es ist interessant Kunst in solchen öffentlichen Räumen zu machen, da diese sofort aufgenommen wird. Ein weiterer wichtiger Faktor bei unserer Arbeit ist der Überraschungseffekt und das Absurde.

Während einer Parlamentsdebatte im Dezember 2001 habt ihr eine öffentliche Toilette vor dem Parlament in Buenos Aires aufgebaut. Hunderte Menschen nützten die Gelegenheit um unter Benutzung dieser Toilette das Parlamentsgebäude mit ihren Exkrementen in kleine Plastiksäckchen verpackt zu beschießen. In eurem Dokumentationsvideo zu der Aktion hört man eine Frau sagen: -Sie behandeln uns wie Scheiße! Worauf bezieht sie sich mit dieser Aussage?

Wenn Sie das sagt, bezieht sie sich auf alle möglichen Ereignisse und Verbrechen. Zum Beispiel darauf, daß die Immobilienfirmen und Banken damals das gesamte Geld der Bevölkerung einbehielten, um die ökonomische Verhältnisse umzudrehen und auf deren Rücken Währungspolitik zu betreiben. Oder etwa auf die Straffreiheit für Verbrechen des Militärregimes oder darauf, daß die argentinische Regierung alle staatlichen Unternehmen an multinationale private Konzerne aus den USA oder Europa verkaufte oder darauf, daß mehr als 50 Kinder an Hunger sterben mussten. Sie behandelten uns also wie Scheiße - im buchstäblichen Sinne. Unsere Aktion - Mierdazo (the big shit) bestand also darin, alle verärgerten Leute dazu aufzufordern, ihre eigene Scheiße, die der Freunde, Verwandten oder Haustiere auf das Parlamentsgebäude abzufeuern. Zur selben Zeit fand drinnen die Parlamentssitzung zum Staatsbudget statt. Im Rahmen der Aktion fanden mehrere spektakuläre Performances statt , die eine breite Berichterstattung in den Medien provozierte. Das Konzept konnte sich also auch auf andere Teile Argentiniens ausweiten. In Mar del Plata beispielsweise wurden Lastwagenladungen voller Exkremente vor den Eingängen von Banken ausgeladen - von der Bevölkerung, die ihre Ersparnisse verloren hatte.

Wie setzt sich Eure Gruppe zusammen? Wie viele seid Ihr und wie gestaltet sich die Kooperation zu anderen widerständigen Gruppen in Argentinien?

Ecetera ist keine geschlossene KünstlerInnengruppe. Wir sehen uns als eine Bewegung von KünstlerInnen. Die Besetzung ändert sich ständig aber es sind Leute aus dem Theater- und Musikbereich ebenso beteiligt wie AutorInnen und bildende KünstlerInnen. Wir arbeiten viel mit anderen Gruppen oder Bewegungen wie den Piqueteros oder auch mit StudentInnen zusammen. Das hängt allerdings stark vom Kontext ab. Wir sind Teil einer neuen Generation in Argentinien. Die Generation der Kinder der verschwundenen Eltern - oder Kinder revolutionärer Ideen. Dazu gehören die Colectivo Situaciones ebenso wie Ecetera, Grupo der Arte Callejero und andere Netzwerke. Wir sind ein Beispiel für eine neue Linke in Argentinien.

Ihr nehmt derzeit an einer Ausstellung teil, die den Titel trägt: -There must be an Alternative Welche Alternativen schlagt ihr vor?

Das ist eine schwierige Frage. Um uns eine andere Welt vorstellen zu können, müssen wir alles verändern. Wir wissen aber, dass es um die -Gesundheit des kapitalistischen Systems schlecht steht. Argentinien funktioniert zum Beispiel wie ein Labor, in dem man sich ein perfektes Bild von den Auswirkungen neoliberaler Politik machen kann, denn mit der Wirtschaftskrise veränderte sich alles. Ecetera schlägt vor, das System kollektiv zu verändern und sich an den verschiedenartigsten Bewegungen und Experimenten zu beteiligen an den Fabriksbesetzungen durch die Arbeiter, den direkten Aktionen der Piqueteros, der Arbeitslosenbewegung, den öffentlichen Nachbarschaftsversammlungen, den geldunabhängigen Tauschökonomien und einer aktivistischen performativen Protest- und Widerstandsbewegung.

Interview und Übersetzung: Eva Egermann



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